Donnerstag, 22. Juli 2010

Szenen des alltäglichen Faschismus


















Miriam Grimm, Leni Bohrmann, Judith Achner, Daniel Baczyk


Fassbinders Stück „Preparadise sorry now“ von der Theaterakademie Mannheim im Theater Felina Areal

Regie: Andreas Manz
Choreographie: Mario Heinemann Jaillet

VON HANS-ULRICH FECHLER

1969 erlebte Rainer Werner Fassbinders Stück „Preparadise sorry now“ seine Uraufführung am Münchener Antitheater. Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche hat es jetzt wieder brennend aktuell gemacht. Die Theaterakademie Mannheim hat es für die Vorstellung seiner zweiten Abschlussklasse in diesem Jahr ausgewählt. Am Freitag hatte das Stück über den alltäglichen Faschismus im Theater Felina Areal Premiere.


Fassbinder ließ sich zu seinem Stück von einem Fall anregen, der damals ganz Europa schockierte. Ian Brady und Myra Hindley vergewaltigten und folterten in den Jahren 1963 bis 1966 in England mindestens fünf Kinder und Jugendliche zu Tode. Den Todeskampf nahmen die mit nationalsozialistischem Gedankengut Infiltrierten mit Fotoapparaten und Tonbandgeräten auf. Die Leichen ließen sie im Moor verschwinden, so dass das Horrorpaar als Moormörder in die Kriminalgeschichte einging. Fassbinder benutzte den Fall als Rahmenhandlung für „Preparadise sorry now“. Dazwischen schaltete er collageartig 15 Szenen. Zum Inhalt haben sie fiktive Dialoge zwischen dem Mörderpaar, liturgieartige Litaneien und alltägliche Gewalt, Erniedrigung und Beleidigung. Fassbinders eigene Erfahrungen mit der katholischen Kirche als einer Institution der Unterdrückung und seine Erfahrungen als Homosexueller gingen in „Preparadise sorry now“ ebenfalls ein. Sein Stück trug, wie seine Filme auch, zur Verunsicherung, Verstörung und Empörung eines Bürgertums bei, das mit dem Wirtschaftswunder die Erinnerung an die Gräuel der faschistischen Vergangenheit zu verdrängen wünschte. „Man kann immer nur ausgehen von dem, was ist. Keine Utopie ist eine“, hat der 1982 gestorbene Fassbinder einmal programmatisch über sein gesamtes Schaffen geäußert.
Das gilt auch für „Preparadise sorry now“. Die lockere Montage der Szenen in dem Stück lässt einem Regisseur weitgehend freie Hand. Andreas Manz von der Theaterakademie setzt sie mit Geräuschen voneinander ab, die irgendwo zwischen dem Sirren einer Sense und der Klappe bei Filmaufnahmen einzuordnen sind. Einige Szenen wiederholt er, nur die Schauspieler wechseln. Diese Wiederkehr gibt dem Geschehen Wucht und Unausweichlichkeit: einem Mann wird von zwei anderen Geld abgepresst, einer Frau von zwei anderen ein Geständnis; ein Soldat wird geschliffen, ein Schwuler von den Dirnen des Straßenstrichs verscheucht; ein Freier lässt die eine Dirne sitzen und wendet sich einer anderen zu; eine Frau wird von zwei Männern vergewaltigt, ein Mann wird von zwei Männern vergewaltigt. Den Schauspielschülern Judith Achner, Helene Bohrmann, Miriam Grimm, Daniel Baczyk, Felix Berchtold und Andreas Krüger bieten die wechselnden Konstellationen Gelegenheit, eine breite Palette von Rollen, Gefühlen und Gesten auszubreiten. Bald ist einer Opfer, bald Täter. In der überall herrschenden Gewalt lösen sich die Gegensätze auf. Gleichzeitig verlangt die Inszenierung eine gehörige Disziplin von den Darstellern. Große Teile tragen die sechs in schwarz-weiß-roter Kleidung nämlich unisono vor. Und oft bewegen sie sich nach der Choreographie des Leiters der Theaterakademie Mario Heinemann Jaillet wie eine uniforme Masse. Nach Art einer Gehirnwäsche wiederholen sie Sätze aus dem Glaubensbekenntnis der Herrenmenschen und Pharisäer: „Sich zu unterwerfen ist das Beste für die meisten Menschen“, „Wer unwert ist, ist rauszuschmeißen“, „Wer wert ist, bestimmen wir“ und „Wir sind sauber im Gegensatz zu den Minderwertigen“. Da nimmt sich zwischen Szenen des Kopulierens, Massakrierens und neben einem Führerlob auch ein Choral des Gotteslobs nicht widerständig aus.
Viel Applaus für eine wuchtige Aufführung vor ausverkauftem Haus.

Quelle: RheinPfalz
Fotografie: Wolfgang Detering © All rights reserved

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